„Guck mal, ich habe ein Vogelbuch mitgebracht.“ So begrüßte uns der fünfjährige Anton (Name geändert) an einem sonnigen Morgen. Und der vierjährige Benjamin (Name geändert) hatte einen weißen, eiförmigen Stein mitgebracht, den er bei seiner Ankunft im Kindergarten erst mal gründlich wusch. Sie fanden zueinander und hatten einen Plan. Sie wollten ein Nest für das (Stein)Ei bauen. Das aufgeschlagene Buch zeigte mehrere Fotos von Vogelnestern. „Das ist unsere Anleitung.“ Daneben lag das Ei und es wurde sorgsam umwoben und bedeckt mit Grashalmen, kleinen Zweigen und sah wunderschön aus.
So ist es bei uns: mal bringen die Kinder etwas zum Spielen mit und meist wird es in ein phantasievolles Spiel eingebunden. In der Regel kommen sie ohne eigenes Spielzeug und finden miteinander ins Spiel mit Materialien, die unser Gruppenraum Wiese hergibt: Steine, Stöcke, Erde, Regenwürmer, Gras und kleine Blumen. Außerdem nutzen sie das wenige von uns Angebotene: Sandspieleimer und -schaufeln, ein langes Springseil, gehäkelte Pferdeleinen. Die Kinder nutzen die Sandspieleimer zum Transport von Erde, sie drehen die Sandspieleimer aber auch gerne um und lassen einen Parcours entstehen. Viele Kinder balancieren dann der Reihe nach darüber, lassen den anderen ihre Zeit, es ebenfalls zu tun. In diesen ersten Wochen finden die Kinder wunderbar ins Spiel miteinander, gerade weil es nicht so viel Material gibt. Es bilden sich Spielgemeinschaften und erste Freundschaften unter Gleichaltrigen. Mittags gibt es eine Ruhepause auf der Picknickdecke im Schatten, bei Regen im Tipi. Auf kleinen Holzunterlagen werden Kreisel unermüdlich gedreht und wunderbare Bilder für die Eltern entstehen. Nach einem Vormittag mit viel grobmotorischer Bewegung auf der Wiese und dem Bauernhof scheinen die Kinder das Material und die feinmotorische Beschäftigung in einer entspannten Atmosphäre sehr zu genießen und es braucht Zeit, bis jedes Kind genug davon hat und sie sich wieder zum freien Spiel zusammenfinden.
Nach einem so bereichernden Spiel, in dem Äste zu Autos werden und Matsche mit Stöcken und Steinen zu phantasievollen Pizzen, kehren die Kinder nach dem Abschlusskreis müde und erfüllt heim. Unsere Kinder haben dann sehr viel Arbeit geleistet. Phantasie ist eine bildende Kraft. Das kleine Kind stellt sich ganz real ein Auto vor, spielt aktiv damit und ist ganz eingetaucht in seine Vorstellungskraft. Für den erwachsenen Betrachter mag es ein Stock sein, mit dem das Kind spielt. Rudolf Steiner sah in dieser kindlichen Phantasie eine große Kraft, mit der das Kind seine intellektuelle Entwicklung fördert. Es sei die Vorarbeit für das Denken im Schulalter.
Unsere Eltern berichten, dass ihre Kinder nach dem Kindergartentag ihre Spielsachen zu Hause neu wertschätzen und mit Ruhe in ein längeres nachmittägliches Spiel finden.
Autor: Stefanie Jaworski